Gastbeitrag von Lothar Berger
Am 26. Januar haben die von der ruandischen Armee unterstützten M23-Rebellen Goma, die Provinzhauptstadt von Nord-Kivu im Osten der DR Kongo, eingenommen. Dies hat zu einer gefährlichen Eskalation des lange anhaltenden Konflikts im rohstoffreichen Osten der DR Kongo geführt. Nach wochenlangen Kämpfen gegen die kongolesische Armee beherrschen Einheiten der M23 weite Teile von Nord-Kivu. Am 15. Februar hat die Miliz auch die Millionenstadt Bukavu, Provinzhauptstadt von Süd-Kivu, eingenommen. In den eroberten Gebieten setzen die Rebellen neue Bürgermeister ein und erheben Zwangsabgaben von der Bevölkerung. Berichte von Gräueltaten wie Vergewaltigungen und willkürliche Hinrichtungen sind an der Tagesordnung. Fast eine halbe Millionen Menschen verloren ihr Zuhause, nachdem 90 Flüchtlingslager zerstört wurden. Nach Regierungsangaben sind seit Januar mindestens 7000 Menschen bei den Kämpfen im Osten des Landes getötet worden.
Es ist kein Geheimnis, dass die M23-Rebellen von etwa 4000 ruandischen Soldaten unterstützt werden. Die Einnahme von Bukavu könnte der Auftakt von einer De-facto-Annexion durch Ruanda und die M23 sein. In Süd-Kivu lagern einige der seltensten und wertvollsten Metalle der Welt, die in großer Menge abgebaut werden, darunter Coltan, Gold, Nickel, Kobalt und Kupfer. Etliche dieser Rohstoffe werden zur Herstellung moderner Digitalgeräte wie etwa Smartphones benötigt.
Ist das der Grund, warum die EU und einige Mitgliedstaaten zwar deutliche Erklärungen gegenüber Ruanda abgegeben und den unmittelbaren Rückzug der ruandischen Streitkräfte aus dem Kongo gefordert haben, doch konkrete Maßnahmen scheuen? Vor allem Frankreich blockiert Sanktionen gegen Kigali. Vor über zehn Jahren, als die M23 zum ersten Mal Goma einnahm, war die entschlossene internationale Reaktion entscheidend für die Beendigung des Konflikts. Die UN verhängten Sanktionen gegen Ruanda und die wichtigsten Geberländer kürzten einen erheblichen Teil der Entwicklungshilfe für das Land. Doch jetzt verhält sich der Westen auffallend zurückhaltend. Das europäische Parlament hat zwar am 13. Februar eine Resolution verabschiedet, die mit deutlicher Mehrheit die Besetzung von Goma verurteilt und ein Ende der Gewalt fordert. Darin fordert das Parlament die EU-Kommission und den Rat auf, „die EU-Vereinbarung über nachhaltige Rohstoff-Wertschöpfungsketten mit Ruanda unverzüglich auszusetzen, bis das Land jegliche Einmischung in der DR Kongo einstellt, einschließlich der Ausfuhr von Mineralien, die in von der M23 kontrollierten Gebieten abgebaut werden.“ (Europäisches Parlament, 13.2.25)
Doch die Rohstoffinteressen der EU-Länder dürften die Forderung des Parlaments ins Leere laufen lassen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen war im Dezember 2023 eigens nach Kigali gereist, um mit Präsident Paul Kagame Investitionen in Bereichen wie Gesundheit, kritische Rohstoffe, Agrar- und Lebensmittelindustrie, Klimaresilienz und Bildung zu vereinbaren. Im Rahmen der europäischen Global Gateway-Initiative investiert die EU mehr als 900 Mio. Euro in Ruanda, weitere 40 Mio. Euro für die biopharmazeutische Industrie und die Herstellung von Impfstoffen wurden zugesagt. Ein wesentlicher Grund für die EU-Offensive in Ruanda waren allerdings die kritischen Rohstoffe, die zwar Ruanda liefert, die es zum größten Teil aber illegal aus dem benachbarten Kongo bezieht – deutlicher gesagt, unter immensem menschlichen Leid stehlen lässt.
Am 19. Februar 2024 unterzeichnete die EU mit Ruanda das jetzt vom europäischen Parlament zur Aussetzung geforderte Abkommen über die Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit strategischer Mineralien. Die Abkommen mit der EU lösten in der DR Kongo heftige Proteste aus. Auch kirchliche Hilfswerke wie das im Kongo tätige Netzwerk „Rete Pace per il Congo“ zeigten sich entsetzt, dass die EU in ein Land investiere, das nicht über nennenswerte Mengen dieser Mineralien verfüge und nur dank der Kriege, die es seit 1996 in der DR Kongo immer wieder angezettelt habe, zu einem wichtigen Exporteur dieser Mineralien geworden sei. Drei Monate nach der Unterzeichnung der Vereinbarung mit der EU nahm die M23 die Rubaya-Mine ein, die nach einigen Schätzungen fast 20 Prozent des weltweiten Coltans produziert.
Das Leid der Menschen in der DR Kongo ist unermesslich. Schon vor dem derzeitigen Konflikt gab es im Kongo 5,6 Mio. Binnenflüchtlinge. „Europa scheint für einen der größten aktuellen Verstöße gegen das Völkerrecht blind zu sein, was seine offensichtliche Doppelmoral im Vergleich zur Situation in der Ukraine verdeutlicht“, kommentiert Kristof Titeca vom belgischen Institute of Development Policy (EU Observer, 25.2.25).
Derweil drohen die M23-Milizen damit, weiter vorzurücken und Kongos geschwächten Präsidenten Félix Tshisekedi in der weit entfernten Hauptstadt Kinshasa zu stürzen. Dort herrscht große Nervosität. Weil die Bevölkerung überall Ruander sieht, sah sich der Generalstab der Armee gezwungen, die Menschen aufzufordern, „suspekte Elemente“ zu melden. Sollte es nicht bald zu Gesprächen zwischen den Konfliktparteien und einem von den katholischen und protestantischen Bischofskonferenzen eingeleiteten Dialog kommen, dürften die Tage von Präsident Tshisekedi gezählt sein.
Wir weisen empfehlend hin auf die informationsstelle südliches afrika e. V. (issa) https://www.issa-bonn.org/.