Stellungnahme zum Angriff Israels und der USA auf den Iran
Der Leitungskreis des Forums Friedensethik
Freiburg, den 28.Juni 2025
In unserer Erklärung vom 20. April 2022 haben wir die sogenannte russische „Spezialoperation“ in der Ukraine als einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verurteilt. Genauso bewerten wir jetzt den israelischen Angriff auf den Iran, dem sich die USA inzwischen angeschlossen haben. Er stellt einen eindeutigen Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen dar, die keinen Präventivkrieg legitimiert.
Dass der Iran kurz vor der Entwicklung einer einsatzfähigen Nuklearwaffe stehe, erinnert an die Lüge von den irakischen Massenvernichtungswaffen, die 2003 zur Rechtfertigung des amerikanischen Angriffs auf den Irak in die Welt gesetzt wurde. Der Direktor der Internationalen Atombehörde Rafael M. Grossi hat mehrfach öffentlich erklärt, dass es keine konkreten Hinweise auf ein iranisches Atomwaffenprogramm gibt, und selbst amerikanische Gemeindienste widersprachen der Schutzbehauptung einer akuten Bedrohung.
Die Berichte und Bilder von den Angriffen auf Teheran, iranische Atomanlagen, Ölfelder, einzelne iranische Atomphysiker sowie von den israelischen Opfern iranischer Gegenangriffe sind verstörend. Sie dürfen aber nicht davon ablenken, dass Israel gleichzeitig ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Regelungen das benachbarte Syrien bombardiert und in Teilen besetzt hält. Die völkermörderischen Angriffe der israelischen Armee auf Gaza gehen mittlerweile im Schatten des Iran-Krieges ungehindert weiter. In den besetzten palästinensischen Gebieten hat sich Israel seit Jahrzehnten über die Menschenrechte der Palästinenser und ihr völkerrechtlich begründeten Anspruch auf staatliche Selbstbestimmung hinwegsetzt. So ist es nicht verwunderlich, dass die palästinensische Bevölkerung zeitgleich mit den laufenden Militäroperationen noch häufiger und mit zunehmender Intensität sich den Gewaltaktionen jüdischer Siedler und der israelischen Besatzungstruppen ausgesetzt sieht.
In all dem wird deutlich, dass wir es nicht mit einzelnen Übergriffen eines Staates zu tun haben, sondern mit einer Politik, die in einem völkerrechtlichen Nihilismus gründet. Auch die jüngsten Angriffe auf den Iran sind in diesem Kontext zu bewerten.
Die eigentliche Verantwortung für diesen Zustand trägt der Westen, die USA und ihre Verbündeten. Sie verfolgen eigene geostrategische Interessen im Nahen Osten. War das früher die langfristige Sicherung des Zugriffs auf die energetischen Ressourcen der Region, so dürfte es jetzt darum gehen, mit dem Iran einen Verbündeten Russlands und Chinas aus demSpiel zu werfen und gleichzeitig das auf immer größere Selbständigkeit gegenüber dem Westen bedachte Bündnis der BRICS-Staaten, zu dem der Iran gehört, zu schwächen. Darum darf Israel seit Jahrzehnten straflos handeln, und der Westen stellt die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen zur Verfügung, die Israel in die Lage versetzen als regionaler Hegemon westliche Interessen zu sichern.
Diese Politik untergräbt die Glaubwürdigkeit aller westlichen Beteuerungen, bei seiner Politik nur vom Völkerrecht und seinen Werten geleitet zu sein. Wer das Agieren im Nahen Osten wahrnimmt, wird nur schwer die völkerrechtlichen Beschwörungen des Westens zum Krieg in Osteuropa für bare Münze nehmen können. Wir halten die damit einhergehende Schwächung der Vereinten Nationen und ihrer Organe für fatal. Der Westen ist dabei, jede Glaubwürdigkeit zu verlieren und wird unfähiger werden, irgendwo auf der Welt bei politischen Konflikten Frieden zu stiften. Die wirklichen Aufgaben, vor denen die Menschheit steht, die humane Bewältigung des Klimawandels und die Beseitigung der globalen Ungleichheiten bei Lebenschancen und -qualität, verlangen kooperative Aktionen Gleichberechtigter, nicht aber das Faustrecht des Stärksten.
Wir unterstützen daher die zivilgesellschaftlichen Initiativen wie beispielsweise die „Aktion Aufschrei“ und IALANA (Vereinigung für Friedensrecht), die im Blick auf den Iran die deutsche Politik zur Rückkehr zum Völkerrecht aufrufen: „Die IALANA fordert die Bundesregierung und die internationalen Akteure auf, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um eine weitere Eskalation zu verhindern und die Einhaltung des Völkerrechts sicher zu stellen.“ (Presseerklärung vom 14.6.25)
Wir unterstreichen noch: Die deutsche Unterstützung und Entschuldigung aller israelischer Kriegsverbrechen müssen enden. Waffenlieferungen an Israel sind einzustellen. Keine diplomatischen Floskeln, die Einsicht und Selbstkritik nur vortäuschen! Seit Jahrzehnten erklären deutsche Regierungen folgenlos, dass sie für eine Zwei-Staaten-Lösung eintreten und jüdische Siedlungen im besetzten Palästina illegal seien. Den Worten müssen Taten folgen: Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit der EU! Israel muss dazu gebracht werden, der Aufforderung des Internationalen Gerichtshofs Folge zu leisten und sich aus den besetzten palästinensischen Gebieten zurückziehen. Die Versuche, Kritik an israelischer Politik zu diffamieren und in einer Weise zu behindern, die die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz fraglich erscheinen lassen, müssen aufhören!
Ein wesentlicher Faktor, ohne dessen Berücksichtigung eine Politik mit einer echten Friedensperspektive nicht denkbar ist, kommt auch im deutschen Diskurs dieser Tage nicht zur Sprache. Nach dem westlichen Narrativ hat allein das iranische „Mullah-Regime“ den Konflikt und seine gegenwärtige Eskalation zu verantworten. Nun ist die Politik der iranischen Regierung kritikwürdig und ihre Menschenrechtsbilanz halten wir für verheerend. Aber es darf nicht übersehen werden, dass auch der Westen in den vergangenen Jahrzehnten zum Entstehen und zu Eskalation des Konfliktes beigetragen hat, es versäumt hat, eine demokratische Entwicklung im Iran zu fördern, und stattdessen auf einen „regime change“ hingearbeitet hat.
1953 haben die USA und Großbritannien für das Scheitern der Demokratiebewegung im Iran gesorgt und das diktatorische Regime des Schahs als Sachwalter westlicher Interessen, vornehmlich am iranischen Öl, wieder eingesetzt und gegen eine wachsende Opposition bis 1979 gestützt. Der Westen hat den irakischen Diktator Saddam Hussein zum Krieg gegen den Iran (1980-88) ermutigt; er verhalf ihm sogar zu Chemiewaffen und schützte ihn vor einer Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat. 2003 schlug die iranische Regierung den USA vor, alle strittigen Fragen miteinander zu besprechen und einer Lösung zuzuführen. Die USA lehnten brüsk ab. Aus dem Atomabkommen, mit dem der Iran sich in der Ära Barak Obama verpflichtet hatte, weitgehende Kontrollen seines zivilen Atomprogramms zu akzeptieren, sind die USA während der ersten Präsidentschaft Trumps wieder ausgestiegen.
Frieden mit dem Iran und im Nahen Osten wird es nur geben, wenn der Westen eine Alternative zu seiner bisherigen Interessenpolitik entwickelt. Ohne eine öffentliche Anerkennung unserer Schuld an der Entstehung des Konfliktes wird es dazu nicht kommen.
Uns ist bewusst, wie schwer die hier aufgelisteten Forderungen umzusetzen sind angesichts einer jahrzehntelangen falschen Politik des Westens, ideologisch verklärt als Treue zu Israel und Eintreten für demokratische Werte. Aber diese Forderungen müssen zur Sprache kommen, sie müssen Orientierung unseres konkreten Engagements für den Frieden bleiben. Die Schöpfung Gottes muss menschenwürdig bewohnbar werden und bleiben; westliche Herrschaft über eine zerstörte Erde zu sichern ist kein Gebot von Vernunft oder Glauben.
