Glosse von Manfred Jeub zu einem bemerkenswerten Vortrag von Prof. Dr. Gottfried Orth
Am 11. Januar 2025 fand in Bonn eine Friedenswerkstatt des Arbeitskreises Frieden der ökumenischen Netze und Gruppen in der Evangelischen Kirche im Rheinland statt. Sie brachte ein Papier hervor mit dem Namen „Ein Signal aus der Friedenswerkstatt Bonn an die Evangelische Kirche im Rheinland“, das – an die Landeskirchenleitung und bezirkliche Kirchenleitungen gerichtet – von der deutschen Friedensbewegung durchweg geteilte, sehr vernünftige Forderungen enthielt.
Die Friedenswerkstatt hatte sich zur „Keynote“, d.h. zum eröffnenden Plenumsvortrag, den emeritierten Professor für Theologie und Religionspädagogik Gottfried Orth eingeladen. Im Programm war als dessen Thema angegeben „Wie bleiben wir handlungsfähig auf dem Weg zu einer Kirche des gerechten Friedens?“
Das Bemerkenswerte von Orths Vortrag beginnt damit, dass er den Titel beiseiteschob mit dem gut begründeten Urteil, das sei ihm zu „kirchenlastig“. Um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden, entwickelte er einen neuen Titel mit Anleihen bei Martin Luther: „Von der Freiheit eines Christenmenschen…“ – Auf dem Weg zu gewaltfreien Lösungen in den Konflikten, die Menschen auf Erden verursachen.“
Die Rede ist jetzt also nicht mehr von „Kirche“, sondern von „Christenmenschen“. Die ganze Ironie versteht erst, wer den anderen Luthertitel aus dem Jahr 1520 im Kopf hat: „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“. Hier vollzieht Luther die Loslösung von der (damals römischen) Kirche, weil sie sich von ihren Ursprüngen durch falsche Traditionen entfernt hat.
Heute schlagen wieder die falschen Traditionen der evangelischen Kirche als Staatskirche, als obrigkeitshörig und staatstragend voll durch. Orth, der in starkem Maße auf den Ökumeniker Ernst Lange zurückgreift, zitiert ihn mit dem Begriff „konstantinische Kirche“ – ein Topos befreiungs-theologischer Provenienz, der die durch Macht korrumpierte Kirche meint. Die Freiheit eines Christenmenschen entfaltet sich jenseits dieser Kirche.
Schonungslos (Wie es m. E. einfach nötig ist!) exponiert Orth die Niederlage der Christenmenschen auf dem Pilgerweg für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Über das Rollback in Politik, Gesellschaft und Kirche sollte sich niemand hinwegtäuschen. Es gilt, die Wüste offenen Auges wahrzunehmen, sich auf eine Wüstenwanderung einzustellen, die biblisch wahrlich nicht fremd ist, und aus den Quellen zu schöpfen, die reichlich da sind, weil die Erfahrungen des Christenglaubens immer schon weit hinausgingen über das Kirchliche.
Es ist schon beeindruckend, was Orth dann als praktische Ratschläge für die Wüstenwanderer in christlicher Freiheit vorschlägt, gerade, weil es theologisch fundiert ist.
Ich kehre zum Anfang dieser Glosse zurück. Man tagte. Man verabschiedete die Resolution „Ein Signal aus der Friedenswerkstatt Bonn an die Evangelische Kirche im Rheinland“. Man ging nach Hause. Auf das Anschreiben wird eine Eingangsbestätigung erfolgen. Man bedanke sich für die engagierte Zuschrift wird darin stehen. Vielleicht: Man sei ebenfalls besorgt. Oder: Die Wortmeldung werde an die zuständigen Gremien weitergeleitet. Oder: Sie werde in die Beratungen eingehen.
Ich frage mich: Wie gut wurde der „Keynote“ des Referenten Gottfried Orth eigentlich zugehört?
Sein Vortrag ist im Folgenden verlinkt. Ich halte ihn für einen ganz bemerkenswerten Beitrag zur kirchlichen Friedensdiskussion, an den anzuknüpfen ist.
Vortrag von Prof. Dr. Gottfried Orth Link