Kommentar von Manfred Jeub
Die Meldung erschien und verschwand am medialen deutschen Himmel wie eine Sternschnuppe: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat fast einstimmig geurteilt, dass die gesamte israelische Besatzung palästinensischer Gebiete illegal ist und beendet werden muss.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte 2022 den Internationalen Gerichtshof in Den Haag beauftragt, das israelische Besatzungsregime rechtlich zu beurteilen. Jetzt liegt dieses Rechtsgutachten vor und es ist erheblich brisanter ausgefallen, als viele erwarteten. Der erhobene Zeigefinger, dass Siedlungen im Westjordanland völkerrechtswidrig seien, gehört ja seit eh und je zu den Ritualen, mit denen die Israelunterstützer in Politik und Kirche sich abzusichern versuchen. Aber das jüngste Urteil des IGH geht in seinen Klarstellungen erheblich weiter und fordert Konsequenzen, die auch diese scheinheilige Komplizenschaft tangieren. Der IGH hat geurteilt (die wichtigsten Punkte):
- Israels anhaltende Präsenz in den besetzten palästinensischen Gebieten wird als illegal angesehen.
- Israel muss seine Präsenz in den besetzten Gebieten so bald wie möglich beenden.
- Israel muss den Siedlungsausbau sofort einstellen und alle Siedler aus den besetzten Gebieten evakuieren.
- Israel muss Wiedergutmachung für den Schaden leisten, der der lokalen und rechtmäßigen Bevölkerung in den palästinensischen Gebieten zugefügt wurde.
- Die internationale Gemeinschaft und die internationalen Organisationen haben die Pflicht, die israelische Präsenz in den Gebieten nicht als legal anzuerkennen und ihre Aufrechterhaltung nicht zu unterstützen.
- Die UNO sollte prüfen, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die israelische Präsenz in den Gebieten so schnell wie möglich zu beenden.
Das Gericht bezeichnete die Besetzung als “De-facto-Annexion” und sagte, sie sei durch “systematische Diskriminierung, Segregation und Apartheid” zustande gekommen.
Dazu wird man sich auch in Deutschland verhalten müssen. Gerade erst hatte das israelische Parlament beschlossen, dass es eine Zwei-Staaten-Lösung nicht geben werde. Israel missachtet und beschimpft internationale Institutionen regelmäßig, so auch hier. Ministerpräsident Netanjahu entrüstete sich und stellte die zionistische Sicht klar: “Das jüdische Volk ist kein Eroberer in seinem eigenen Land – nicht in unserer ewigen Hauptstadt Jerusalem und nicht im Land unserer Vorfahren in Judäa und Samaria.” (Judäa und Samaria sind die biblischen Namen der palästinensischen Gebiete) Aber entgegen der in Deutschland verbreiteten Darstellung sind sich auch die Oppositionsparteien einig in der Ablehnung. Der in Deutschland als das „gute Israel“ verkaufte Benny Ganz sagte, er lehne es als Einmischung von außen ab. Avidor Liebermann betätigte einen bewährten Knopf sprach von einer weiteren „antisemitischen Show“ des IGH.
Der IGH hatte bereits 2004 ein klares Rechtsgutachten zur Illegalität des Mauerbaus in Israel abgegeben, das von Israel ohne Konsequenzen schlicht ignoriert wurde. In Erinnerung daran behandeln unsere machtpolitisch gepolten Leitmedien den Spruch der höchsten rechtsprechenden Instanz in der Welt auch diesmal stiefmütterlich: Hat ja doch keine Durchsetzungsmacht!
Die Evangelische Amtskirche in Deutschland beschweigt die nachgewiesenen Kriegsverbrechen des Staates Israel in Gaza hartnäckig. Die auf dem Portal einer kirchlichen Friedensbewegung zu stellende Frage zu diesem Anlass lautet: Wird der rechtsblinde Philosemitismus in unserer Kirche auch dieses IGH-Gutachten ignorieren, oder wird endlich ein kirchliches Wort zu hören sein zu Verhältnissen, die nicht nur rechtlich illegal, sondern nach christlicher Ethik unbedingt verwerflich sind.
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