FFE: Wir machen uns mitschuldig!



Briefkopf 2 FFE: Wir machen uns mitschuldig!

Freiburg, den 9. August 2025


Offener Brief
an die Evangelische Landeskirche in Baden
und ihre Bischöfin Prof. Dr. Heike Springhart
Blumenstr. 1
76133 Karlsruhe

Betr.: Gaza und die Sprachlosigkeit unserer Kirche

Sehr geehrte Frau Bischöfin,

Papst Franziskus hatte in den leidenden Menschen von Gaza den „hungrigen, kranken, fremden, verlassenen, armen und bedürftigen Christus“ gesehen (Schreiben an die Katholiken im Nahen Osten, 7.10.24)). Unsere Schwestern und Brüder in den kirchenleitenden Ämtern der EKD und ihrer Gliedkirchen scheinen dagegen auf einem anderen Planeten zu leben. Von Ihren Vorgängern in den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dürften viele um die deutschen Verbrechen gewusst haben, aber keiner hat mit eigenen Augen gesehen, was in deutschen KZs passierte. Wir aber, Sie und wir, sind Augenzeugen der Gräuel, die sich in Gaza abspielen. Jedoch die Bilder von der gewollten Zerstörung eines menschlichen Lebensraumes, von verhungernden Kindern, die Tatsache, dass israelische Politiker den Rest der Überlebenden vor ihrer erzwungenen „freiwilligen Ausreise“ im Süden des Gaza-Streifens „konzentrieren“ wollen, scheinen nicht mehr als Floskeln folgenloser Betroffenheit auszulösen.

Wir beschränken uns auf Gaza, wissen aber, dass seit Beginn des jetzigen Krieges die Palästinenserinnen und Palästinenser im besetzten Westjordanland verstärkt israelischer Gewalt ausgesetzt sind und auch ihnen Enteignung und Vertreibung droht.

Wir – Sie und wir – müssen umkehren. Dass Schweigen der Kirchenleitungen zum offenkundigen Unrecht desorientiert die Gemeinden; auf die Dauer wird es zu einem weiteren Nagel am Sarge der Glaubwürdigkeit unserer Kirche werden. Stattdessen wäre es höchste Zeit, die auch in Deutschland noch vorhandenen, am Völkerrecht und den Menschenrechten wirklich orientierten Politiker, Amtsträger und Mitarbeiter in Ministerien mit einem öffentlichen Wort der Kirchen zu unterstützen und zu ermutigen. Diese Erklärung sollte aufrufen

  • zum sofortigen Waffenstillstand und zum Rückzug der israelischen Truppen aus Gaza,
  • zur Sicherstellung der Versorgung Gazas durch die UNO und ihre Agenturen,
  • zur konsequenten und nachhaltigen Umsetzung des Völkerrechts, das auch dem palästinensischen Volk das Selbstbestimmungsrecht zuspricht,
  • zur Einstellung aller Waffenlieferungen an Israel, dieser manifesten Beihilfe zum Völkermord,
  • zur Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit der EU.

Es geht jetzt aber um noch mehr als die Forderung nach einer Politik, die Abhilfe schaffen würde in einer Situation großen Leidens. Dieses Wort der Kirche sollte zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit einer verdrängten Tatsche aufrufen: In Gaza zerstören die USA und ihre Verbündeten, also auch Deutschland, durch Tun oder Lassen unter unseren Augen die ohnehin brüchig gewordene internationale Ordnung – mit nachhaltigen Auswirkungen auf das Leben in der Völkerwelt.

Ein solches Wort wäre noch aus weiteren Gründen von grundsätzlicher Bedeutung. Es machte auch unseren palästinensischen Glaubensgeschwistern wieder Hoffnung. Ihre Klagen über das Leiden unter der israelischen Besatzung und ihr Hilferuf „Könnt ihr uns helfen unsere Freiheit zurückzugewinnen“ sind in Deutschland nie wirklich gehört worden. Zur Zeit können sie nicht daran glauben, dass die deutschen Kirchen ihr Bekenntnis zur einen Kirche Jesu Christi ernst nehmen.

Es geht uns übrigens auch um ein Wort wirklicher Solidarität mit Israel. Wir beklagen alle israelischen Opfer der Auseinandersetzungen seit dem 7. Oktober 2023 und das Leid der Geiseln in der Gewalt der Hamas. Die israelische Politik setzt jetzt aber bedenkenlos das Leben der letzten Geiseln aufs Spiel; nur ein Waffenstillstand könnte sie noch retten. Nur nach einem echten Friedensschluss könnte Israel überleben. In einem Meer von Hass, den es derzeit in der gesamten Region in besonderer Weise schürt, wird es trotz seiner Massenvernichtungswaffen nicht überleben können.

Schließlich werden Israels wirkliche Freunde es daran hindern wollen, seine eigenen moralischen Grundlagen zu zerstören. Dass Israel dabei ist, gerade dies zu tun, meinen übrigens auch Juden weltweit. Wir zitieren aus einer Erklärung von vierhundert Rabbis, für die die Heiligkeit des Lebens, die Gottebenbildlichkeit aller Menschen und die Pflicht, jeden Menschen gerecht zu behandeln, jüdische Grundwerte sind :„Die Juden sehen sich mit einer schweren moralischen Krise konfrontiert. Diese bedroht die Grundlagen des Judentums als einer ethischen Stimme, die es seit den Tagen der Propheten Israels war. Da dürfen wir nicht schweigen.“ ( The Jewish Chronicle, 31.7.25)
Nebenbei bemerkt: unsere gegenwärtige Sprachlosigkeit hat sicher auch etwas damit zu tun, dass der sogenannte „christlich-jüdische Dialog“, auf den sich unsere Kirchen beziehen, gerade dieses Judentum weitgehend ignoriert. Unsere Kirchen sind eher im Gespräch mit dem Zionismus geblieben, der besonders geschichtsmächtig geworden ist in einer Strömung, die wenig mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs anfangen konnte, sondern sich im Kern am völkischen Egoismus der europäischen Nationalismen orientiert.

Sehr geehrte Frau Bischöfin, warum haben wir diesen Brief als „offenen“ geschrieben ? Wir gehen davon aus, dass Sie, sowie Ihre Kolleginnen und Kollegen, in einem möglichst einvernehmlichen Gespräch mit den jüdischen Gemeinden bleiben wollen. Nun agiert aber der Zentralrat der Juden in Deutschland, der als die Stimme des deutschen Judentums wahrgenommen wird, wie ein Sprachrohr der jeweiligen israelischen Regierung Hier kommt dann unverhohlen die deutsche „Staatsräson“ ins Spiel. Dieses eher zum Obrigkeitsstaat als zur Demokratie passende Konstrukt fordert von Deutschland die uneingeschränkte Unterstützung israelischer Politik, selbst die einer rechtsradikalen Regierung. Hier entsteht unseres Erachtens ein Druck, der sachgerechtes, am Auftrag der Kirche orientiertes öffentliches Reden erschwert.
Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es möglich ist, sich diesem Druck zu entziehen und ein deutliches Wort der Kirche zur Lage in Gaza zu sprechen. Wir hoffen, dass das leichter fällt, wenn nach einem offenen Brief unsere schwache Stimme aus den Gemeinden von unserer Landeskirche unterstützt wird.

Wir, unser Volk und unsere Kirche, sind dabei, an einem Völkermord durch Schweigen und tatenloses Zusehen mitschuldig zu werden. Wir – Sie und wir – müssen umkehren.
Wir glauben immer noch, dass wir umkehren können. Am besten wäre es, die ganze EKD schaffte es. Baden wenigstens sollte anfangen.

Mit freundlichen Grüßen

Für den Leitungskreis des FFE
Dr. Wilhelm Wille

Link zur Pressemitteilung

Ganz ähnlich hat sich der Diözesanvorstand von pax Christi der Erzdiözese Freiburg an den Bischof gewandt mit dem Aufruf: „Brechen Sie das Schweigen der deutschen Kirchen!“ und sich auf Papst Leo berufen mit dem Zitat: „Wir haben die moralische Pflicht, die Politik der israelischen Regierung in Gaza ganz klar und offen zu kritisieren.“ Link